Der Irische Osteraufstand von 1916 – 3 Fragen, 3 Antworten (Teil 1)

Interview von Jürgen Schneider mit dem irischen Schriftsteller Liam Mac Cóil

Jürgen Schneider: Warum haben die Aufständischen des Osteraufstandes von 1916 ihre Feindschaft gegenüber dem Imperialismus auf Englisch Ausdruck verliehen, obwohl die meisten ihrer Anführer Irisch sprachen und auf Irisch schrieben? Ihre Proklamation, die mit den Worten „Im Namen Gottes und toter Generationen“ beginnt und die Patrick Pearse auf den Stufen des Dubliner Hauptpostamtes vortrug, war ebenfalls in englischer Sprache verfasst, bis auf die ersten Worte: „POBLACHT NA H EIREANN“.

Liam Mac Cóil: Die entscheidende Kraft hinter 1916 war die Irish Republican Brotherhood (IRB). Das Wort ‚hinter’ ist wichtig, denn die IRB war eine klandestine Organisation, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wussten nur wenige Leute von ihrer Existenz. Die ‚Organisation’ wurde 1852 ins Leben gerufen, um eine unabhängige, demokratische Republik Irland zu errichten und um „den Bruch der Verbindung mit England herbeizuführen“, wie es Wolfe Tone (1763-1798), der Vater des irischen Republikanismus, formuliert hatte. Die Anführer der IRB waren anglophon und rekrutierten sich aus der Mittelklasse, doch in ihren frühen Jahren, als sie allgemein als „die Fenier“ bekannt waren, rekrutierten sie auch viele Iren (Frauen durften der ‚Organisation’ nicht beitreten) aus den arbeitenden Klassen: Handwerker, Kunsthandwerker, Landarbeiter, von denen viele natürlich Irisch sprachen. Die Führung blieb jedoch anglophon, bürgerlich, nationalistisch und – von der Politik abgesehen – konservativ. Ihr Ziel war eine irische Demokratie ähnlich der in den Vereinigten Staaten von Amerika oder im republikanischen Frankreich. Der irischen Sprache maßen sie wenig Wert bei, und nur wenige konnten Irisch sprechen. Der nominelle Präsident der IRB bis zu seinem Tod im Jahre 1907, John O’Leary, ein Freund von W.B. Yeats, den James Joyce mit dem Nachruf ‚Il Fenianismi: L’ultimo Feniano’ in der in Triest erscheinenden Zeitung Il Piccolo della Sera würdigte, fand das Irische nur als akademischen Gegenstand von Nutzen. Und dies, obwohl laut einem Zensus zu Beginn des 20. Jahrhunderts 14% der irischen Bevölkerung Irisch sprachen. Die IRB-Führung hat sich nie die Ideale oder Ideologie der Gaelic League (Conradh na Gaeilge) zu eigen gemacht, gegründet 1893 mit dem Ziel, das Irische als gesprochene Sprache zu bewahren und denen, die Englisch sprachen, landesweit und ungeachtet von Klasse, Geschecht, Religion oder anderer Unterscheidungen, die Mittel zur Verfügung zu stellen, Irisch zu lernen. Die IRB organisierte (wiederum hinter den Kulissen) die Feiern zum Gedenken an die Erhebung von 1798 in der Hoffnung auf neue Mitglieder. Die blieben jedoch aus. Es war die Gaelic League, die von einem neu erwachten Nationalbewusstsein profitierte. An diesem Punkt entfaltete die IRB ein Interesse an der Gaelic League als einem fruchtbaren Boden für die Rekrutierung und Infiltration.

Diese Politik der Rekrutierung, Infiltration – und auch der Subversion – begann meines Erachtens in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, erstarkte aber nach 1907, als der alte Fenier Thomas Clarke nach Irland zurückkehrte und eine Allianz mit einer Reihe von sehr fähigen und enthusiastischen jungen IRB-Mitgliedern einging, darunter im Besonderen Seán Mac Diarmada und Bulmer Hobson.

Hobson hatte zwar am Irischunterricht teilgenommen, doch ob er sehr gut Irisch sprechen konnte, ist fraglich. Seán Mac Diarmadas Irisch war wohl besser, doch seine Haltung gegenbüber der Sprache scheint mehr sentimental als praktisch gewesen zu sein. Er scheint Irisch weniger als Alltagssprache, denn als „Sprache der Vergangenheit“ erachtet zu haben, wie es in dem bekannten Gedicht ‚The Celtic Tongue’ von Michael Mullen heisst, das er gerne zitierte. Wenn dies tatsächlich seine Haltung war, so unterschied sie sich von der Politik der Gaelic League, wie sie von deren Präsident, Dubhglas de hÍde (Douglas Hyde, auch bekannt unter seinem Pseudonym ‚An Chraoibhín Aoibhinn’), formuliert worden war. Deren einfaches Motto lautete, es werde Irisch mit jenen gesprochen, die ebenfalls Irisch sprechen.

Die rückwärtsgewandte Haltung der IRB und Mac Diarmadas gegenüber der irischen Sprache hatte wichtige Konsequenzen für 1916 und den zukünftigen Status der Sprache. Bei dem Vorbereitungstreffen zur Gründung der Irish Volunteers 1913 (als Reaktion of die Gründung der Ulster Volunteers im Jahre 1912), so der teilnehmende Piaras Béaslaí, schlug Mac Diarmada dem Vorsitzenden, Eoin Mac Néill, vor, während des Treffens Englisch zu sprechen, da einige der Anwesenden kein Irisch verstanden. Eoin Mac Néill, der zugleich Vizepräsident der Gaelic League war, hatte anfangs Irisch gesprochen und schien die Absicht zu haben, in dieser Sprache fortzufahren. Indem er Mac Diarmadas Bitte nachkam, überließ er – sich dessen zweifellos nicht bewusst – die Kontrolle den Freiwilligen der IRB, der wichtigsten hinter der Gründung stehenden Kraft. Das Treffen wurde in englischer Sprache fortgesetzt, wie all späteren Treffen der Volunteers.

Wir müssen uns daran erinnern, dass Seán Mac Diarmada bei all seinem Interesse an der irischen Sprache und bei allen Sprachaktivitäten in erster Linie ein IRB-Mann war. Von ihm wurde erwartet, dass er Thomas Clarke und anderen Mitgliedern Bericht erstatten würde, da er doch bei allem, was er tat, deren Unterstützung und Zustimmung benötigte. Obwohl bei diesem Vorbereitungstreffen vier IRB-Mitglieder anwesend waren, von denen mindestens drei Irisch sprachen, war Mac Diarmada wohl der Auffassung, wenn er dem Komitee der Volunteers erlaube, das Treffen in irischer Sprache durchzuführen, würde er die Kontrolle Irischsprechern, wie Eoin Mac Néill und Ó Rathaile (The O’Rahilly) überlassen, die keine Mitglieder der ‚Organisation’ waren. Nicht nur das, sondern Leute, wie Thomas Clarke und Bulmer Hobson und vielleicht sogar Mac Diarmada selbst, hätten unter Umständen nicht die angestrebten einflußreichen Rollen spielen können, wäre bei den Irish Volunteers Irisch gesprochen worden.

Im übrigen wurde zu jener Zeit nur bei wenigen Organisationen, wenn überhaupt bei einer, abgesehen von der Gaelic League, Irisch als operative Spache verwendet. Hierfür gibt es eine Reihe historischer, ökonomischer und sozialer Gründe. Der erste und wichtigste Grund ist die Jahrhunderte währende englische Vorherrschaft in Irland – ökonomisch, politisch, sozial und kulturell. Mullen nannte in seinem Gedicht das von den Iren gesprochene Englisch „die Sprache des Sklaven“. Des weiteren haben wir die Kontrolle der anglophonen Mittel-, Ober- und klerikalen Klassen, sowohl römisch-katholisch wie auch protestantisch, wichtiger Bereiche der irischen Lebenswelt im 19. Jahrhundert: „öffentliche Räume“, der Prozess der Modernisierung, die Medien, das Ausbildungswesen. Dann haben wir das mit dem Sprechen der irischen Sprache verbundene Schamgefühl, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weit verbreitet war, besonders im niederen Bürgertum, aber nicht nur auf dieses beschränkt. Und schließlich haben wir als Folge der gerade genannten Kräfte die Tatsache, dass viele Leute, vor allem in Dublin, kein Irisch sprechen konnten (knapp über 2% der Bewohner der Provinz Leinster waren zu jener Zeit Irischsprecher).

Die Gaelic League war sich all dieser Probleme bewusst und versuchte das Irische breiter durchzusetzen – mit einigem Erfolg. James Connolly2 sah diese Kräfte in der destruktiven und inhumanen Natur des Kapitalismus und Kolonialismus verwurzelt. Laut Connolly war der Kapitalismus gleichermaßen Feind der irischen Sprache wie der irischen Arbeiterklasse. Diese Einsichten, ob die der Gaelic League oder die Connollys, wurden jedoch nicht von der IRB geteilt.

Wie dem auch sei, nichts des oben Angeführten erklärt hinreichend, warum so viele der Irisch sprechenden Anführer – Pádraig Mac Piarais (Patrick Pearse), Éamonn Ceannt, wie auch andere Irisch sprechende Mitglieder der IRB, wie Piaras Béaslaí, Cathal Brugha und Risteard Ó Maolcatha (Richard Mulcahy) sowie in Cork Traolach Mac Suibhne (Terence McSwiney) und Tomás Mac Curtáin – die sich alle der historischen und gesellschaftlichen Aspekte der Sprache bewusst waren – zustimmten, dass die Sprache des Osteraufstandes, wie sie es formulierten, „an Sacsbhéarla“ sein sollte, „the Saxon tongue“.

Es wäre in der Tat lohnenswert, diesen Aspekt der Teilnahme von Irischsprechern am Osteraufstand näher zu untersuchen. Irischsprecher waren auf allen Ebenen präsent, von den Unterzeichnern der Proklamation aus dem Militärrat bis zu den gewöhnlichen Freiwilligen; einige kamen aus Gebieten, in denen Irisch gesprochen wurde. Wie haben diese Irisch sprechenden Rebellen, kollektiv und als Individuen, die Bedeutung, die sie der irischen Sprache zumaßen, in Einklang gebracht mit der Tatsache, dass sie de facto Englisch sprachen? Eine solche Untersuchung, so wünschenswert sie auch ist, würde unseren Diskussionsrahmen sprengen. Wir werden uns mit ein paar Hinweisen, nicht notwenigerweise in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit, begnügen müssen.

Es gab zweifellos einen romantischen Aspekt des Beitritts zu einer Bruderschaft, bei der es sich um die direkte Nachfolgeorganisation der legendären Fenier handelte. Die Ablegung eines geheimen Schwurs „auf die nun faktisch errichtete Irische Republik“, wenn auch auf Englisch, konnte diese Romantik nur verstärken. Und die Irischsprecher haben sich vermutlich in einer Reihe mit den „Handwerker-Feniern“ gesehen, wie Pearse (Mac Piarais) sie nannte, statt mit der schattenhaften anglophonen Führung von Kickham und O’Leary. Wenn auch die IRB anfänglich nicht viel von den weitverbreiteten Erinnerungsfeiern an 1798 und der sie begleitenden Balladendichtung profitieren konnte, so trugen diese sehr viel zur Stärkung des militanten Republikanismus und des Konzepts der bewaffneten Rebellion bei. Einige Irischsprecher mögen zudem die Parteinahme für den militanten Republikanismus als Erweiterung der persönlichen intellektuellen und kulturellen Freiheit gesehen haben, die sie sich durch die Gaelic League gesichert hatten. Einige mögen die IRB als Mittel erachtet haben, eine Irisch sprechende Republik zu erreichen, ähnlich derjenigen, die der Irisch sprechende IRB-Mann Liam Ó Maolruanaidh (William Rooney) zum Jahrhundertwechsel vorschwebte.

Ein weiterer Punkt ist die Art und Weise, wie die Irischsprecher und die Mitglieder der Gaelic League in die IRB rekrutiert wurden. Aktivitäten der Gaelic League, wie aeraíochtaí und céilithe3, wie auch gewöhnliche Mitgliederversammlungen dienten der Rekrutierung für die IRB. Seán Mac Diarmada war ein liebenswerter und charmanter Rekrutierer, der nicht wegen seines Interesses an der irischen Sprache, sondern um der IRB willen der Gaelic League beitrat. Oft zog eine Rekrutierung eine weitere Rekrutierung nach sich. So trat zum Beispiel Seán Mac Diarmada nach seiner Ankunft in Dublin im Jahre 1907 einer der aktivsten Dubliner Sektionen der Gaelic League bei, Craobh an Chéitinnigh, und rekrutierte kurz danach deren Präsidenten, Cathal Brugha, für die ‚Organisation’. Cathal Brugha wiederum rekrutierte Piaras Béaslaí. Zweifellos wurde die Freiheit Irlands den neuen Rekruten als Erweiterung ihrer Arbeit für die irische Sprache präsentiert.

Wir können mit Bestimmtheit sagen, dass die meisten der Unterzeichner der Proklamation Irisch sprachen, wenn auch mit unterschiedlicher Kompetenz. Joseph Plunkett hatte gerade erst begonnen, die Sprache zu lernen, während sein Lehrer, Thomas MacDonagh, Irisch am University College Dublin studiert hatte; wir wissen allerdings nicht, wie gut er die Sprache wirklich beherrschte. Seán Mac Diarmada sprach Irisch, doch er hat wohl das Englische vorgezogen. Von Pádraig MacPiarais (Patrick Pearse) und Éamonn Ceannt können wir dies nicht sagen – sie sprachen nicht nur Irisch, sondern schrieben auch in irischer Sprache – und schrieben gut. Die Kurzgeschichten und Gedichte von Pádraig Mac Piarais4 wie auch seine journalistischen Arbeiten gehören ebenso zum Kanon der modernen irischen Literatur wie die Texte anderer Irisch sprechender IRB-Mitglieder, wie etwa Piaras Béaslaí.

Äusserst wichtig war zudem natürlich die Verzögerungspolitik des englischen Premierminsters Herbert Asquith hinsichtlich der Home Rule für Irland sowie seine Unfähigkeit bzw. sein Unwillen, der unionistischen Opposition gegen diese Home Rule zu begegnen. Dies sowie die faktische Suspendierung der Demokratie in Irland, als die Home Rule Bill 1914 ad acta gelegt wurde, trugen wenig dazu bei, unter den irischen Nationalisten Vertrauen in das englische Recht oder in den englischen Parlamentarismus zu befördern, besonders nicht unter jenen, die aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der Gaelic League zu einer unabhängigeren und selbstbewussteren Haltung gefunden hatten.

Und schließlich sollten wir den Irischsprechern vermutlich eine gewisse Naivität hinsichtlich der Verwendung des Englischen bescheinigen. Die Tatsache, dass die Mitgliedschaft in der IRB die Mitgliedschaft in einer völlig anglophonen Organisation bedeutete, die Englisch nicht nur als Sprache der Führung, Macht, der Wirtschaft und Politik, sondern natürlich auch der Revolution ansah, schien ihnen nicht in den Sinn gekommen zu sein. Sie haben wohl die Tatsache ignoriert, dass die geheime Führung der IRB nicht die volle Bedeutung der von der Galeic League im Jahre 1893 begonnen „Revolution“, wie Mac Piarais (Pearse) selbst es bezeichnete, verstanden hatte. Es schien ihnen nicht bewusst zu sein, dass die Irische Republik der IRB, der sie ihre Loyalität schworen, keinen Begriff von ihren persönlichen Erfahrungen hatte, nämlich, dass die persönliche und gemeinschaftliche Befreiung – Empowerment sagt man wohl heute –, die das Sprechen der irischen Sprache bedeutete, von der irischen Unabhängigkeit untrennbar war. Seltsamerweise scheinen diese Irisch sprechenden Mitglieder der IRB damit zufrieden gewesen sein, dass zu Beginn ihrer Zusammenkünfte die Namen der Anwesenden auf Irisch verlesen wurden, während die Diskussionen selbst in englischer Sprache stattfanden. Die Irisch sprechenden IRB-Mitglieder scheinen diese als missliche Notwendigkeit erachtet zu haben und nicht als Unterminierung ihres ganzen Vorhabens.

Rückblickend ist es erstaunlich, dass Irisch sprechende IRB-Mitglieder so unbedacht gewesen sind, ihren Mitgliedseid auf Englisch abzulegen (eine irische Version konnte ich bislang nicht finden). Waren Romantik und Nimbus, die mit den Feniern verbunden waren, genug, um sie zu überzeugen, darin das richtige Mittel für ihren eigenen Idealismus und Antiimperialismus zu sehen? Die Tatsache, dass alle vorherigen Erklärungen und Proklamationen (soweit mir bekannt) ausschließlich in englischer Sprache verfasst waren, schien irrelevant für sie zu sein. War die Verbindung zu den „toten Generationen“ und ihrem Kampf für irische Unabhängigkeit genug sie zu überzeugen, dass die irische Sprache in den Händen der IRB sicher war?

Dies führt uns zu der von Patrick H. Pearse (Pádraig Mac Piarais) vor dem Dubliner Hauptpostamt am Ostersonntag 1916 vorgetragenen Proklamation. Diese sollten wir in erster Linie als Teil einer politischen und auch literarischen Tradition sehen. Die Proklamation von Robert Emmet aus dem Jahr 1803 wurde als Beispiel angeführt. Die IRB sowie die Fenier haben ebenfalls Proklamationen veröffentlicht. Die Proklamation von 1916 war die letzte in dieser Tradition.

Eines der wichtigen Wörter in den Dokumenten der Fenier war das Wort nationhood (nationale Unabhängigkeit). Diese nationhood wurde als gegeben verstanden, und ich bin mir keiner existierenden Definition bewusst. Im Gegensatz zu Organisationen, wie der Gaelic League, die nationhood im Sinne von Sprache, Kultur, Kunst, Denken und intellektuellen Ausdrucksformen verstanden, scheint die IRB nationhood in der gleichen Weise verstanden zu haben wie Robert Emmet, d. h. lediglich unter dem Gesichtspunkt der bewaffneten Rebellion bzw. der „Erlangung“ der Unabhängigkeit „von England durch unsere eigenen Hände“. Mit anderen Worten, die irisch-republikanische Tradition hat nicht gesehen, dass Sprache oder auch jede Art von Kultur für das relevant ist, was erreicht werden sollte: ein mittels Waffengewalt durchgesetztes unabhängiges Irland. Die irische Nation wurde lediglich über die Bereitschaft zur Rebellion definiert. Die Osterproklamation von 1916 war in der Tradition früherer IRB-Proklamationen in englischer Sprache verfasst und enthielt wie diese früheren Proklamationen keine Bezugnahme auf das Irische. Die IRB folgte dem Beispiel der englischen Kolonisten seit dem 16. Jahrhundert und machten das Irische unsichtbar (bis auf die wenigen Wörter „Poblacht na h Eireann“ – zweifellos führten der Mangel an Lettern beim Setzen sowie die absolute Notwendigkeit der Geheimhaltung dazu, dass der síneadh fada (Akut) auf dem E von Eireann fehlt; diese Faktoren sind wohl auch für die Spationierung zwischen dem h und dem E verantwortlich).

Die IRB war im wahrsten Sinne des Wortes rückwärtsgewandt. Ihre Entschlusskarft verdankte sie vor allem dem Kampf, den andere Repubikaner vor ihr gegen die englische Herrschaft geführt hatten. Die IRB-Mitglieder sahen sich wie ihre Proklamationen in einer Linie, die auf das Jahr 1798 zurückreichte. In gewisser Weise war ihnen das tiefere Verständnis der Gaelic League und der jungen Irischsprecher, die das Gros der Mitglieder stellten, entgangen.

Die IRB war auch in anderer Hinsicht rückwärtsgewandt. Indem sie die Sprache des Empires für ihre Organisation und Proklamation verwendete, stand die IRB sehr in der republikanischen Tradition der Aufklärung der Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich. In beiden Republiken galt es als selbstverständlich, dass Standardenglisch bzw. Standardfranzösisch die Sprache der Regierung und der Revolution war. Eine andere Sprache war weder vorstellbar noch offiziell erlaubt – und dies ist bis heute der Fall. In der irisch-republikanischen Tradition wurde die Sprache nach dem französischen und englischen Beispiel als Sprache der Revolution wie der Regierung angesehen – d. h. Englisch (wie auch Standardenglisch der Literatur. Nebenbei bemerkt: Shakespeare und Milton waren die Lieblingsschriftsteller nicht weniger irischer Republikaner).

Diese Ideologie war von der Gaelic League grundsätzlich in Frage gestellt worden. Sie war sogar so weit gegangen, „Caint na nDaoine“, die Umgangssprache, als literarischen Standard zu empfehlen. Doch während, wie wir gesehen haben, 1916 eine Reihe einzelner IRB-Mitglieder, besonders die aus der Gaelic League rekrutierten, all dies verstanden und ein persönliche Synthese von irischer Sprache und dem anglophonen Republikanismus herstellen konnten – in den Worten von Pádraig Mac Piarais(Patrick Pearse): „Nicht nur gälisch, sondern auch frei; nicht bloß frei, sondern auch gälisch“ – versagte die IRB als Organisation in dieser Hinsicht völlig. Die Lektionen für Demokratie, Bildung, Soziales, für die Umwelt und vieles mehr, die von der Gaelic League hätten gelernt werden können, drangen nicht in das Bewusstsein der IRB-Führung.

In ähnlicher Weise waren Sozialismus und Internationalismus wie auch Frauenrechte nicht mehr als Nebensächlichkeiten des IRB-Auftstandes. Es lag auch nie in der Absicht der IRB, weder als Organisation noch in Person ihrer Anführer, Thomas Clarke and Seán Mac Diarmada, dass das Vehikel des Austandes – die Irish Volunteers – eine irischsprachige Organisation werden sollte. Noch weniger bestand die Absicht, durch den Zusammenschluß mit der Irish Citizen Army die von dieser beabsichtigte sozialistische Republik auszurufen. Die IRB und die Organisation, die sie ins Leben rief, die Irish Volunteers, blieben anglophon, bürgerlich und rückwartsgewandt. Trotz aller Anstrengungen Einzelner, wie etwa Piaras Béaslaí, und den Bedenken anderer Irischsprecher, wie Liam Ó Briain und Shán Ó Cuív, wurde Irisch im Alltag der Volunteers an den Rand gedrängt, wie es scheint, sogar in jenen Gegegenden, in denen Irisch gesprochen wurde. Es ließe sich in der Tat argumentieren, das Ostern 1916 eine Kraft zur weiteren Anglisierung geboren wurde.

 

  1. Dieses Interview erscheint parallel in irischer Sprache in der Monatszeitschrift Feasta. Liam Mac Cóil ist Autor mehrerer Romane in irischer Sprache sowie der biografischen Studie An Chláirseach agus an Choróin – Seacht gCeolsiansa Stanford über den Komponisten Charles Villiers Stanford. Sein neuester Roman, An Choill, eine abgespeckte Version der Suche nach dem Heiligen Gral, verfasst in einem modernisierten mittelalterlichen Irisch, erscheint Ende des Jahres im Verlag Leabhar Breac. Mac Cóil lebt in Ráth Chairn, im Gaeltacht-Gebiet der irischen Grafschaft Meath.
  2. James Connolly (1868-1916), Arbeiter, Autodidakt, Marxist und irischer Nationalist in republikanischer Tradition, war Mitbegründer der irischen Labour Party. Als Kommandant der ersten europäischen Arbeitermiliz, der 1913 ins Leben gerufenen Irish Citizen Army, kam er mit der Führung der Irish Republican Brotherhood 1916 überein, einen gemeinsamen Aufstand zu wagen. Patrick Pearse bezeichnete Connolly als „führenden Kopf unseres Widerstandes“. Während des Osteraufstandes erlitt Connolly schwere Verletzungen am Bein. Er wurde von den Briten an einen Stuhl gefesselt und von einem Erschiessungskommando hingerichtet. Zu Connolly s. Helga Woggon, Integrativer Sozialismus und nationale Befreiung. Politik und Wirkungsgeschichte James Connollys in Irland. – Göttingen/Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht, 1990.
  3. aeraíochtaí und céilithe: aeraíocht, f. (gs. ~a, pl. ~aí). 1. Open-air entertainment (Foclóir Gaelge-Béarla, Ó Dónaill, 1977); céilí, m. (gs. ~, pl. -lithe). 1. Friendly call, visit. 2. Social evening. 3. Irish dancing session (ibid.)
  4. Zu Pearse siehe HYPERLINK „http://www.ucc.ie/celt/pearsefic.html“ www.ucc.ie/celt/pearsefic.html sowie: Patrick Pearse, Der Rebell. Gedichte. Aus dem Englischen und Irischen und mit einem Nachwort von Hans-Christian Oeser. – Berlin: Edition Rugerup, 2016. Die deutschsprachige Literatur zum Osteraufstand ist recht spärlich. Zur Lektüre seien bei aller Kritik, die hier nicht ausgebreitet werden kann, die englischsprachigen Werke Easter 1916 – The Irish Rebellion von Charles Townshend (Penguin Books, 20152) sowie 1916: Ireland’s Revolutionary Tradition von Kieran Allen (Pluto Press, 2016) empfohlen. Kieran Allen schreibt die irische Geschichte von 1916 bis heute als Revolutionsgeschichte fort und betont die Notwendigkeit, sich Klassen- und Genderfragen zu widmen, statt den Blick auf Nation und Staat zu beschränken.