Ein Beuys-ABC –– destilliert aus Neuerscheinungen zu seinem 100. Geburtstag

 

ANTHROPOSOPHIE »Mythenbilder mit Hut – Vor 100 Jahren wurde der esoterische Künstler und Rudolf-Steiner-Adept Joseph Beuys geboren« lautete eine Überschrift der Tageszeitung junge Welt vom 12. Mai 2021. Beuys, so schreibt Rüdiger Sünner in seiner Spurensuche Zeige deine Wunde – Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys (Europa-Verlag, Jubiläumsausgabe 2021) sei in das »Resonanzfeld« Anthroposophie eingetaucht. Wie tief die Anregungen des Anthroposophen-Gurus Rudolf Steiner gewesen sei, bezeuge ein Brief an den Anthroposophen Manfred Schradi: »(…) Die große Leistung Steiners ist es gewesen, gar nichts ›erfunden‹ zu haben, sondern nur! aus der unendlich gesteigerten Wahrnehmung heraus vorgetragen zu haben, was des Menschen höhere Sehnsucht ist, wenn er es auch noch nicht weiß…« „Ein Beuys-ABC –– destilliert aus Neuerscheinungen zu seinem 100. Geburtstag“ weiterlesen

Aposterioprismically. Shamrock und Absinth zu Ehren von St. Patrick. Wahrheit und Dichtung über den Schutzheiligen der Iren

von Jürgen Schneider

Am 17. März 1903 schrieb der Student James Joyce aus Paris nachmittags an seine Mutter in Dublin: »Ich dachte, jemand würde mir Shamrocks schicken. Immerhin brachte mir Mr. Casey welche. Es ist ein Jammer, daß ich keinen Abendanzug habe, da er eine Einladung zum Irischen Ball heute abend in der Salle Hoche hatte. So bewege ich mich immer am Rande der Dinge. « „Aposterioprismically. Shamrock und Absinth zu Ehren von St. Patrick. Wahrheit und Dichtung über den Schutzheiligen der Iren“ weiterlesen

Irisch-deutsche Unbehaustheit – Über Hugo Hamiltons Roman »Palmen in Dublin«

Die Geschichte des in Dublin aufgewachsenen Schriftstellers Hugo Hamilton ist seit der Veröffentlichung seines Buches »Gescheckte Menschen« (2004) bekannt. Seine Mutter Irmgard Kaiser kam aus dem niederrheinischen Kempen. Auf einer Pilgerreise lernte sie in Dublin Jack Hamilton kennen, einen radikal national gesinnten Iren aus Cork, der seinen irischen Namen angenommen hatte – Sean Ó hUrmoltaigh.

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Immer dieselben alten Turnschuhe

Einfach nur Entertainment, gelegentliche Langweile inbegriffen: Sally Rooneys Roman »Normale Menschen« gibt sich progressiver als er ist

Walter Benjamin sah einst die Anzeichen einer grundlegenden Erneuerung der erzählerischen Formen darin, »die alte Genauigkeit in Schilderung, Zeitablauf, Innenleben zu demolieren«. Diese nun schon nahezu hundert Jahre alte Erkenntnis wird im Schreib- und Besprechungsgewerbe weitgehend ignoriert, die bürgerliche Ausdruckskonserve Roman, die ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert erfuhr, dort weiterhin gehegt und gepflegt, als sei sie nicht »eine längst abgetakelte Fregatte« (Jürgen Ploog). Der alte Kahn wird immer wieder fit gemacht, so auch von der irischen Schriftstellerin Sally Rooney, deren zweiter Roman »Normale Menschen« qua Serienverfilmung durch BBC Three über den Feuilletonhype hinaus große Aufmerksamkeit erfuhr. „Immer dieselben alten Turnschuhe“ weiterlesen

»Der einfache Ausdruck komplexen Denkens« – Donald Judd im texanischen Marfa

Die Ausstellung Judd im New Yorker Museum of Modern Art (1. März bis 11. Juli 2020) ist die erste größere Retrospektive der Werke von Donald Judd (1928–1994) in den USA seit über dreißig Jahren. Judd wird immer wieder als Minimalist bezeichnet, eine Kategorisierung, die er für sich ablehnte. Für ihn war sein Werk der »einfache Ausdruck komplexen Denkens« und wegen der mannigfaltigen Beziehungen zwischen Material, Farbe und Raum alles andere als minimalistisch. Er suchte für seine konstruierten Werke sowie für den durch diesen kreierten Raum Autonomie und Klarheit, eine rigoros demokratische Präsentation ohne kompositorische Hierarchie. „»Der einfache Ausdruck komplexen Denkens« – Donald Judd im texanischen Marfa“ weiterlesen

Der Fun der Ichlinge in Ischgl

Das Bergdorf Ischgl ist ein 1.500-Seelen-Ort im österreichischen Paznauntal. Erst Anfang der 1960-er Jahre – als Retrogarde der meisten ihrer Tiroler und Vorarlberger Nachbarn – beschlossen die Ischgler Bergbauern, sich nach lukrativen Einnahmequellen umzusehen. Sie legten 1963 ihre dürftigen Ersparnisse und viel geliehenes Geld zusammen und bauten die ersten Lifte auf der Livretta, nicht ahnend, dass damit eine spektakuläre Erfolgsgeschichte beginnen und ihre Kuhblöke ein paar Jahrzehnte später zu den wichtigsten Wintersportorten Österreichs mit elftausend Gästebetten und mehr als einer Million Übernachtungen im Jahr zählen würde. „Der Fun der Ichlinge in Ischgl“ weiterlesen

Die »Göttin der Beat-Generation« ruth weiss ist tot

ruth weiss kam 1928 in Berlin in einer jüdischen Familie zur Welt. Sie brachte sich 1933 mit ihren Eltern von dort vor den Nazis in Sicherheit und kam nach Wien, von wo sie 1938 neuerlich flüchten musste. Auf abenteuerliche Weise gelangte sie mit ihren Eltern über die Niederlande nach New York. In ihrem Buch Full Circle (edition exil) widmet sie sich ihrer Flucht aus Nazideutschland: »1938. 31. Dezember. der zug fährt in holland ein. unser tunnel durch die nacht. unser tunnel ins licht. der letzte hinaus gelassene zug.«

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»Zwischen dem Hier & dem Nicht-Hier bewege ich mich« – Zum Tod des »cut prose«-Schreibers Jürgen Ploog

von Jürgen Schneider

Jürgen Ploog wurde 1935 in München geboren. Nach einer Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker war er drei Jahrzehnte als Langstreckenpilot unterwegs und versuchte mit dem Schnittverfahren »Cut-up« den Viruscharakter des Wortes bloß zu stellen: »Das Wort sehen & betrachten, es zum Material machen wie der Maler Form oder Farbe behandelt, bis sie möglichst deckungsgleich seiner Vorstellung entsprechen.« 

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Fragmentarische Anmerkungen zur Compilation Befreiung

Vor einiger Zeit fragte mich Dirk Teschner, ob ich am 8. Mai 2020 bei der Telegraph-Feier anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges der Roten Armee über die faschistischen Truppen Platten auflegen könnte. Mein Terminkalender sagte mir nein, da ich an jenem Tag in London sein sollte. Ich versprach Dirk jedoch, ihm eine CD zusammenzustellen. Nach Zusendung dieser CD bat er mich um ein paar erläuternde Anmerkungen. Diese gelten weniger der Musik als den von mir assoziierten politischen Ereignissen.  

Jürgen Schneider – Düsseldorf, Anfang April 2020

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