Die »Göttin der Beat-Generation« ruth weiss ist tot

ruth weiss kam 1928 in Berlin in einer jüdischen Familie zur Welt. Sie brachte sich 1933 mit ihren Eltern von dort vor den Nazis in Sicherheit und kam nach Wien, von wo sie 1938 neuerlich flüchten musste. Auf abenteuerliche Weise gelangte sie mit ihren Eltern über die Niederlande nach New York. In ihrem Buch Full Circle (edition exil) widmet sie sich ihrer Flucht aus Nazideutschland: »1938. 31. Dezember. der zug fährt in holland ein. unser tunnel durch die nacht. unser tunnel ins licht. der letzte hinaus gelassene zug.«

1946 kehrte die Familie Weiss nach Europa zurück, Ruths Eltern dienten in den US-Besatzungstruppen, die 18-Jährige ging in der Schweiz zur Schule, trampte und schrieb gern. 1948 kehrte die Familie Weiss in die USA zurück und ließ sich in Chicago nieder. ruth weiss reiste per Autostopp durch die USA, landete für ein halbes Jahr in New Orleans, ehe sie sich für San Francisco entschied. Dort organisierte sie Mitte der 1950-er Jahre im legendären Club The Cellar Poetry- & Jazz-Abende. Alle, die später in der Beat-Generation eine Rolle spielten, sollten hier auftreten. ruth weiss veröffentlichte ihre Gedichte in Beatitude, dem von Bob Kaufman herausgegebenen Beat-Magazin der ersten Stunde. Der Pulitzer-Preisträger und Journalist Herb Caen ernannte ruth weiss zur »Göttin der Beat-Generation«.  Später begriff sich ruth weiss eher als von Jazz und Bebop beeinflusste Poetin.

Mit Jack Kerouac, den sie 1952 kennenlernte und mit dem sie »eine fantastische Verbindung auf vielerlei Ebenen« unterhielt, sowie mit Neal Cassady unternahm sie Spritzfahrten durch die nächtlichen Straßen von San Francisco. Mit Kerouac schrieb sie auch Haiku, die von der männlich dominierten Akademikerwelt allerdings oft allein Kerouac zugeschrieben werden. 

Bereits 1959 veröffentlichte ruth weiss den Gedichtband Gallery of Women. In der Beat-Geschichtsschreibung kommt ruth weiss, die ihren Namen aus Protest gegen »law and order« klein geschrieben wissen wollte, kaum vor. In dem 2012 in der österreichischen Edition Baes erschienenen zweisprachigen Gedichtband A Parallel Planet of People and Places sind u. a. 40 Porträts von Frauen des Beat enthalten. Meine Übersetzung der in diesem Buch enthaltenen Gedichte ging ich mit ruth weiss Wort für Wort durch. Sie rief nächtens aus Albion in Nordkalifornien an, rauchte, trank Martini und freute sich, ihren konservierten deutschen Wortschatz – der einer 10-Jährigen, die vor den Nazis flüchten musste – zu erweitern. 

In ihrer 2011 erschienenen Autobiographie can’t stop the beat, die von ebenso viel poetischer Freiheit gekennzeichnet ist wie ihre Gedichte, heißt es am Ende: »Ich habe gerade erst angefangen.« im Herbst 2012 ließ sie mit ihrem energiegeladenen Auftritt beim Sprachsalz-Festival im Tiroler Städtchen Hall ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen alt aussehen. In dem Band white is all colors / weiss ist alle farben (edition thanhäuser) finden sich die zeilen: »das tor ist offen / wir sind am letzten tor angelangt / das wir aufsperren müssen.« ruht weiss hat dieses Tor aufgesperrt, sie starb am 31. Juli 2020 in Albion.