Sellout? – Der schwarze Schriftsteller Paul Beatty bekam den Man Booker Prize

Wir erinnern uns: Als neulich dem Barden Bob Dylan der Nobelpreis für Literatur zuerkannt wurde, produzierten sich deutsche Literaturkritiker als die viel, viel besseren Kenner der US-amerikanischen Literatur und wollten lieber einen weißen Romancier genobelt wissen, einen wie Franzen, Roth, De Lillo oder Pynchon. Weiß sollte er sein.

Nun wurde dieser Tage der Roman »The Sellout« des 54-jährigen US-amerikanischen Schriftstellers Paul Beatty mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Die US-amerikanische Verlagsszene duckt sich weg, denn das Buchmanuskript war von 18 Verlagen abgelehnt worden. Mit »fröhlicher Hemmungslosigkeit«, so die Jury über das schließlich doch noch erschienene Werk, würden in diesem Opus alle Klischees um ethnische Zugehörigkeit und Zugehörigkeit zu Klassen in den USA satirisch zugespitzt. Als Satiriker versteht sich Beatty freilich nicht.

Ein Paul Beatty, ein Schwarzer also, kommt in der Denke der Damen und Herren in den deutschen Feuilletonstuben nicht vor. Die Berichterstattung über die Preisverleihung an Beatty in London war denn auch dementsprechend dürftig. Ja, Paul Beatty begreift sich als Schwarzer, weil er bei der als politisch-korrekt erachteten Bezeichnung »Afro-Amerikaner« nicht wüsste, welchen Anteil ›afro‹ und welchen Anteil ›amerikanisch‹ er für sich beanspruchen sollte.

Paul Beatty begann als Poet; Anfang der 1990er Jahre wurde er im New Yorker »Nuyorican Poets Café« zum Slam-Sieger gekrönt. Das Café veröffentlichte auch Beattys ersten Gedichtband »Big Bank Take Little Bank«. Bei dessen Lektüre gerieten die Kritiker – von Beattys Creative Writing-Lehrer Allen Ginsberg bis zur »Village Voice« – aus dem Häuschen. Und »Newsweek« erklärte Beatty zum »besten Barden des Hip Hop«. Aus Hip Hop allein ließen sich jedoch die mit vielerlei Bedeutung aufgeladenen Beattyschen Wortspiele nicht erklären. Nach einem zweiten Gedichtband, »Joker, Joker, Duce«, in dem Beatty die Geschichte der schwarzen Communities vor uns ebenso ausbreitete wie etwa Sprachfetzen aus Cartoons und der Glotze sowie Erinnerungen an seine Jugend in Los Angeles, wandte er sich der Prosa zu. Sein Roman »The White Boy Shuffle« erschien 1996. Die deutsche Übersetzung des in L. A. angesiedelten Werkes trug den quadratblöden Titel »Der Sklavenmessias«, das Buchcover zeigte eine stilisierte New Yorker Skyline von anno dazumal, und der Übersetzer begriff ganz und gar nicht die sprachlichen Gratwanderungen gegen den »Gestank der Ismen«, die Beatty zu vollführen weiß, und erfreute sich an den von ihm erdachten deutschen sexistischen, rassistischen und besserwisserischen Formulierungen. Warum wird eine schwarze Frau zur »schwarzen Sahneschnitte«? Reicht der Besitz einer Knarre nicht, muss diese zu »Pumpgun« aufgeblasen werden? Beattys Bemühen, dem Übersetzer in New York bei der Abarbeitung seiner Inkompetenzliste behilflich zu sein, war ganz offensichtlich für’n Allerwertesten. So half etwa bei der Erwähnung der Viererbande der Hinweis auf die chinesische Revolutionsgeschichte nicht, der Übersetzer machte aus dieser Bande (im Englischen: Gang of Four) eine Gang von Schwarzen.

Beatty fragte verwundert »Wuddup Muthafucka?«, »Der Sklavenmessias« landete wegen der wenig überzeugenden Übersetzung bald im Ramsch, und die Literaturagentin Beattys konnte seinen zweiten Roman mit dem Titel »Tuff« nicht bei einem deutschsprachigen Verlag unterbringen. Beattys nachfolgender Roman »Slumberland« erschien wiederum in deutscher Sprache, aber er spielte ja schließlich im deutschen Berlin und nicht in einem Wohnviertel der Schwarzen in Amiland.

In einem deutschen Blatt lasen wir jetzt: »Der preisgekrönte Roman ›The Sellout‹ hat offenbar noch gar keinen deutschen Verlag. Das wird sich bestimmt bald ändern.« Klar doch, im deutschen Literaturbetrieb wurde der Weckruf gewiss vernommen, mit dem Literaturpreislabel »Man Booker« lässt es sich prima reüssieren – schließlich lautet eine mögliche Übersetzung von Sellout »Verkaufsschlager« – und irgendein Verlag wird Beatty als eigene Entdeckung feiern wollen.

An der folgenden Schilderung Beattys, die sich in einem Interview der »Paris Review« findet, wird sich durch den Erwerb der »Sellout«-Übersetzungsrechte nichts ändern:

»Ginsberg war nicht da, und Gregory Corso kam herein. Wir trugen unsere Gedichte vor – ich und diese Dichterin namens Karen, eine wirklich gute Dichterin, sowie eine weitere Dichterin, Pamela Hughes. Wir drei lasen also unsere Sachen, und Corso drehte völlig durch, er wusste einfach nicht, wie er mit dem, was wir taten, umgehen sollte. Weil es nicht um den Scheiß ging, den er wichtig nahm. Er fragte mehr als einmal: ›Wo ist Eure Universalität?‹ Noch nie zuvor hatte ich jemanden derart laut argumentieren hören. Ich dachte: ›Oh, dieser Motherfucker geht davon aus, dass seine Art, die Welt zu begreifen, die einzige ist.‹ Und mir wurde klar, dass es dabei neben allem anderen natürlich auch um ›Rasse‹ (race) ging. Ich habe die schreckliche Angewohnheit, die halbe Stunde, die ich Auto fahre, Sportradio zu hören. Und auch da geht es zu 80 Prozent um ›Rasse‹ – worüber sie reden, wie sie darüber reden, über wen sie reden, die Sprache, derer sie sich bedienen, wenn sie über bestimmte Spieler reden, die Wörter, die sie nicht benuzen. Es geht um ›Rasse‹, darum, weiß zu sein. Sie wissen es nicht, und es lässt sich leicht argumentieren, dass es darum nicht gehe. Aber es ist so.«

Erstveröffentlichung in: junge Welt, 29.10.2016