Eleganz und Kargheit. Zum Tod des Dichters John Montague

Am Samstag starb in Nizza der 1929 in Brooklyn, New York, als Sohn irischer Auswanderer geborene und in der nordirischen Grafschaft Tyrone aufgewachsene Dichter John Montague.

Von seinen frühen Gedichten an gelang Montague ein Arrangement fragiler Balance zwischen zwei Welten: erstens, dem alten Irland und seinen mythologischen Figuren, die den alten Leuten seiner Kindheit im Book of Invasions begegneten – ‚Like Dolmens Round my Childhood, The Old People’ und zweitens, Sinnlichkeit und Sexualität. Strenge Form, Schönheit, Eleganz und Kargheit verstärkten diese Fragilität noch. Der Ort der Kindheit, Garvaghy, in dem der kleine John nach dem Tod des die Familie ernährenden Onkels aufwuchs, blieb allerdings dominierend.

Das Irische garbh achaidh (im Englischen korrumpiert zu Garvaghy) bedeutet das rauhe Feld. Und Rough Field hieß denn auch der Titel von Montagues Gedichtsammlung aus dem Jahre 1972, einer Collage, in der er alte wie neue Gedichte sowie Holzschnitte aus John Derrickes A Discoverie of Woodkarne von 1581 integrierte. Letztere zeigen Szenen aus dem militärischen Vorgehen des englischen Lord Deputy Sir Henry Sidney gegen die in Ulster lebenden Iren. Mit Rough Field wollte Montague den Zusammenbruch einer Zivilisation, das Zerbrechen des Staatsgebildes Nordirland lyrisch fassen. Für ihn, der in Paris und Berkeley erlebt hatte, dass „die Gewalt sich bekämpfender Fraktionen mehr als nur ein lokales Phänomen“ ist, war es auch eine Reise zurück. Der Nordirlandkonflikt gab der lokalen Fixierung seines Interesses neue Bedeutung, Religion und Gemeinschaft waren seine Rettungsanker bei dem Versuch, eine nationale Identität zu entwickeln und weiterreichende Bedeutungsräume zu erschließen. In Garvaghy, an diesem Ort allein, suchte Montague nach dem Ursprung der Gewalt.

In Paris hatte Montague zu Zeiten des Algerienkrieges als freier Korrespondent für die Irish Times gearbeitet und Freundschaft mit seinem berühmten Schriftstellerkollegen Samuel Beckett geschlossen. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich ließ er sich in Cork im Süden Irlands nieder.
Spätestens mit dem sehr persönlich gehaltenen Gedichtband The Great Clock (1978), in dem es um das Scheitern einer Ehe und das Sich-Entwickeln einer neuen Beziehung geht, hatte Montague seiner Liebeslyrik quasi programmatischen Status verliehen. Seine dritte Frau, Elizabeth Wassell, lernte er 1992 in Manhattan kennen. Im Vorwort zu The Pear is Ripe (2007), dem zweiten Teil seiner Memoiren, schrieb er, er sei sich nicht sicher, wo seine Formulierungen aufhörten und ihre anfingen. In dem Gedicht ‚Landing’ nannte er Elizabeth Wassell „my late but final anchoring“. Montagues Collected Poems erschienen 1998. Im Times Literary Supplement würdigte die Belfaster Literaturwissenschaftlerin Edna Longley Montague mit den Worten: „Mehr als jeder andere Dichter seiner Generation öffnete Montague Kanäle zwischen der irischen und englischen Tradition, zwischen regionaler und kosmopolitischer Ausrichtung, zwischen nordirischen und irischen Perspektiven.“ 1998 wurde Montague der erste „Ireland Professor of Poetry“.
Gedichte Montagues in deutscher Übersetzung finden sich in Hundsrose – Neue irische Gedichte (hrsg. von Eva & Eoin Bourke & F.M. Dannenbauer, Augsburg: Maro Verlag, 1983) sowie in der Anthologie Irrlandt Ireland Irland (hrsg. von Jürgen Schneider, Berlin: Galrev, 1993). Die Edition Rugerup veröffentlichte 2008 den Gedichtband Erste Landschaft, erster Tod.

Seine letzten Gedichte schrieb Montague in Nizza. Die Veröffentlichung seines Gedichtbandes Second Childhood erlebte er nicht mehr. Der Band wird im Frühjahr bei der in der irischen Grafschaft Meath ansässigen Gallery Press erscheinen.

(Erstveröffentlichung in: junge Welt, 13.12.2016)