Zitronenseife kaufen. Das letzte Abendmahl, Napoleons Zahnbürste und andere Dubliner Kuriosa

›Barracks‹ scheint ein schwierig zu übersetzendes englisches Wort zu sein. Es kommt auf der ersten Seite des Joyceschen Romans »Ulysses« vor: »Back to the barracks.« Joyce wollte von Anfang an die militärische Okkupation Irlands durch britische Truppen thematisieren. Dieses Anliegen lässt sich allerdings mit der deutschen Fassung des Romans nicht verdeutlichen, denn in der Übersetzung von Hans Wollschläger musste die Kaserne – und nichts anderes bedeutet das Wort ›barracks‹ – einer Aufforderung weichen, die gemeinhein an Kleinkinder gerichtet wird: »Huschhusch ins Körbchen.«

In Frank McNallys Buch »111 Orte in Dublin, die man gesehen haben muss« wurde ›barracks‹ zu Baracken. Diese gibt es jedoch auf dem Gelände der mehr als 300 Jahre alten, einstigen Collins-Kaserne nicht, sondern nur solide Gebäude aus Stein, der zu einem Großteil aus der Grafschaft Wicklow stammt. In diesen Bauten ist ein Teil des Irischen Nationalmuseums untergebracht.
Orte mit einem Bezug zu James Joyce gibt es bei McNally mehrere. Da ist der Martello Tower in Sandycove, in dem Joyce einst ein paar Tage wohnte, der Schauplatz der Eröffnungsszene des »Ulysses« ist und heute das kleine, aber feine Joyce-Museum beherbergt. Da ist Sweny’s Chemist, einst eine Apotheke, in der Joyce seine Romanfigur Leopold Bloom Zitronenseife kaufen lässt. Die Seife gibt es dort heute noch, weil ein paar Joyce-Aficionados die Apotheke nach deren Schließung zu einem Ort der Lesungen und des Erinnerns an Joyce gemacht haben. Da ist Anna Livia in Bronze, die einst auf Dublins Hauptstraße, der O’Connell Street, in einem Granitbrunnen saß, vom Volksmund »Flittchen im Sprudelbad« getauft wurde und zur Jahrtausendwende der hoch aufragenden, silbern glänzenden Metallnadel (»Millenium Spire«) weichen musste. Seit fünf Jahren sitzt Anna Livia, die als poetische Darstellung des durch Dublin fließenden Flusses Liffey gilt und von Joyce in »Finnegans Wake« verewigt wurde, im Croppies Memorial Park.
McNally führt uns in etliche Pubs, darunter auch in Mulligans Pub. Hier wollte einst angeblich der spätere US-Präsident John F. Kennedy den Zusammenhang zwischen Pub und Joyce untersuchen. Mulligans Pub kommt in der Joyceschen Kurzgeschichte ›Counterparts‹ vor. McNally beantwortet unter dem Stichwort Mulligans auch die 124 Seiten vorher aufgeworfene Frage, wo es in Dublin das beste Guinness gibt – unter anderem bei John Mulligan.
Von diesem Nahalkoholungsgebiet ist es nicht sehr weit bis zum Bloom Lane und dem Wandbild »Das letzte Abendmahl« aus dem Jahre 2004 von dem aus Belfast stammenden Künstler John Byrne. Um von Leonardo da Vincis Meisterwerk eine irische fotografische Version (Glasemaille auf Stahlplatten) zu schaffen, betrieb der Künster sein Casting auf der Straße und wählte Menschen von unterschiedlicher Herkunft und gesellschaftlicher Stellung aus. Den Heiland mimte ein indischer Sikh-Philosophiestudent. Auf dem Abendmahl-Tisch stehen neben Obst und Wein irisches Sodabrot und eine Teekanne, und über einem Stuhl hängt ein Trikot von Juventus Turin – eine Reverenz an den in diesen Dubliner Straßen wirkenden Baulöwen, Juventus-Fan Mick Wallace.
McNally geleitet seine Leserschaft auch zu einem kleinen, aus Kieselsteinen gebildeten Kreuz im Rasen des Phoenix Parks, das an die Ermordung des englischen Unterstaatssekretärs Thomas Henry Burke sowie des gerade neu in sein Amt eingeführten Chief Secretary, Lord Frederick Cavendish, im Mai 1882 erinnern soll. Für das Attentat zeichneten die »Invincibles« (»Die Unbesiegbaren«) verantwortlich, deren erklärtes Ziel es war, alle »Tyrannen« aus Irland zu vertreiben. Ein weiterer Weg führt zu Napoleons Zahnbürste, die im Royal College of Physicians in der Kildare Street aufbewahrt wird. Als Napoleon sein letztes Exil auf St. Helena aufsuchte, befand sich in seiner Begleitung der irische Zahnarzt Barry O’Meara. Ihm verdankt Dublin einen seiner eher exzentrischen Anziehungspunkte: eine kleine Sammlung napoleonischer Relikte. Älter als diese sind die Mumien in der St. Michan’s Church. Dort wurden Besucher, wie etwa der Autor dieser Zeilen, einst aufgefordert, einem »Kreuzritter« die Hand zu schütteln. Das Händeschütteln sollte Glück bringen. Der Ritter wurde jedoch in Anbetracht seiner geschätzten 800 Jahre zunehmend gebrechlicher. Als einer seiner Finger beschädigt wurde, hörte das Händeschütteln auf. Die Krypta, in der wegen der trockenen Luft und der konstanten Temperatur die dort bestatteten Leichname zu Mumien werden, hat einst wohl Bram Stoker inspiriert: »Der Name seiner Hauptfigur Dracula soll eine Zusammenziehung der irischen Begriffe für ›bad blood‹ sein: ›droch-fhola‹.« Der österreichische Philosoph Wittgenstein besuchte hingegen in Dublin gerne das Great Palm House der National Botanic Gardens. Dort – so McNally – wurde er während des Winters 1948/49 dabei beobachtet, wie er sich auf einer Steinstufe Notizen in seinem Arbeitsheft machte. Heute erinnert eine dort angebrachte Tafel an Wittgenstein.
Eine der kuriosesten Dinge im Buch »111 Orte in Dublin«, das allen Dublin-Reisenden, die gerne auch auf Abwegen wandeln und nicht nur die bekannten Touristen-Attraktionen abhaken wollen, nur empfohlen werden kann, ist der »Hungry Tree«, der »hungrige Baum«. Dieser steht auf dem Gelände des King’s Inn, Irlands Juristenfakultät. Der 120 Jahre alte Baum ist seit Jahrzehnten dabei, eine schmiedeeiserne Parkbank zu verschlingen. Das hungrige Monster kann als Symbol des Verhältnisses zwischen England und Irland gesehen werden, handelt es sich doch um eine Platane, die aus London in die irische Kapitale gelangte. Dublin liegt im übrigen bei einem von der »Financial Times« kürzlich veröffentlichen Ranking über die für ausländische Direktinvestitionen interessanten Orte hinter Singapur und London auf dem dritten Platz. Die Dubliner »Silicon Docks«, so McNally, sind »ein Zentrum der Hightech-Konzerne wie Google, Facebook, Twitter und LinkedIn, die alle ihren europäischen Hauptsitz nach Irland verlegt haben.«

Frank McNally, »111 Orte in Dublin, die man gesehen haben muss.« Deutsche Fassung: Antoinette Gittinger. Mit Fotografien von Róisín McNally. – Köln: Emons Verlag, 2016.

(Erstveröffentlichung in junge Welt, 21.12.2016)