»Der einfache Ausdruck komplexen Denkens« – Donald Judd im texanischen Marfa

Die Ausstellung Judd im New Yorker Museum of Modern Art (1. März bis 11. Juli 2020) ist die erste größere Retrospektive der Werke von Donald Judd (1928–1994) in den USA seit über dreißig Jahren. Judd wird immer wieder als Minimalist bezeichnet, eine Kategorisierung, die er für sich ablehnte. Für ihn war sein Werk der »einfache Ausdruck komplexen Denkens« und wegen der mannigfaltigen Beziehungen zwischen Material, Farbe und Raum alles andere als minimalistisch. Er suchte für seine konstruierten Werke sowie für den durch diesen kreierten Raum Autonomie und Klarheit, eine rigoros demokratische Präsentation ohne kompositorische Hierarchie.

Er ließ seine Objekte – Kuben, Würfel, horizontale und vertikale sog. »Progressionen« und Wandstücke aus einbrennlackiertem Aluminium oder aus Stahl und Plexiglas – industriell herstellen, um eine größtmögliche Präzision zu erreichen und das Material nicht mehr bearbeiten zu müssen. Judd richtete seine Kritik gegen jede Art des Illusionismus. Er geriet dadurch in Widerspruch zu dem Faktum, dass Illusion – wie Adorno ausführte – den Kunstwerken, auch den nicht abbildenden tief eingesenkt ist. »Ihre Zweckmäßigkeit bedarf des Unzweckmäßigen. Dadurch gerät in ihre eigene Konsequenz ein Illusorisches hinein; Schein ist noch ihre Logik.«

Es ist nicht ohne Ironie, wenn Judds Werke nun im MoMA präsentiert werden. Im Interview für den Film Donald Judd’s Marfa, Texas hatte er das 1939 in Midtown Manhattan eröffnete MoMA als »relativ modernes, faschistisches Gebäude« bezeichnet. Stelle man dort aus, stelle man seine Werke »in einen faschistischen Kontext«. Dies verändere die Einstellung der Museumsbesucher*innen zur Kunst und ließe diese in einem anderen Licht erscheinen. Das Hauptmerkmal faschistischer Architektur – so Judd in seinem Text ›Nie wieder Krieg‹ – sei nicht ihre Aggressivität, sondern ihre Geistlosigkeit und verschwommene Unbestimmtheit, das heißt, dass sie eine Fälschung ist.« 

In der MoMA-Ausstellung werden vor allem Werke aus Privatsammlungen und aus Museumsbeständen zu sehen sein. Nur ein Skizzenbuch und ein, zwei weitere Sammlungsobjekte wird die Judd Foundation aus den Marfa-Beständen dem MoMA als Leihgabe überlassen. Judds Klassifizierung des MoMA mag überzogen sein, doch es waren die Unzufriedenheit mit dem Ausstellungsbetrieb in New York, mit der dortigen Baupolitik  – Judd sah im Bulldozer die zweitgefährlichste Waffe nach der Atombombe – sowie allgemein mit dem »monkey business«, die Judd bewogen, sich Anfang der 1970-er Jahre das in der texanischen Chihuahua-Wüste gelegenen Städtchen Marfa als zukünftigen Wohn- und Arbeitsort zu wählen. 

Wer die Intentionen Judds verstehen will, muss sich nach Marfa begeben, dort gelang ihm die seinen Vorstellungen entsprechende Synthese zwischen Architektur, umgebender Natur und dem eigenen Werk. 

Als Judd zunächst seine Sommer im Marfa verbrachte, war der Ort längst im Niedergang begriffen, nachdem das dortige Armeefort D. A. Russell Ende der 1940-er Jahre aufgelöst worden war. Judd mietete zunächst ein kleines Haus und erwarb bis zu seinem Tod mehr als zwanzig Gebäude in Marfa selbst und in der Umgebung, die heute von der Judd Foundation verwaltet werden. Einige sind öffentlich zugänglich. 

1973/74 kaufte Judd zunächst zwei Hangars sowie das Bürohaus des einstigen Quartermasters des Forts. Dieses Bauensemble wurde nach den nahegelegenen Chinati Mountains La Mansana de Chinati genannt oder einfacher The Block, weil es einen ganzen Straßenblock einnimmt. Der Block war nach 1977 Judds Wohnort und einer seiner Arbeitsstätten in Marfa. Judd umgab das Gelände mit einer Mauer aus Lehmziegeln, die als »ärmlich und mexikanisch« galten, baute die Hangars mit wenigen präzisen Eingriffen um und begann in drei großen Räumen einen Teil seiner prä-Marfa-Werke, von seinen ersten freistehenden Objekten bis hin zu den »stacks« genannten Werken aus Stahl und Plexiglas, nach einem auf Proportionen beruhenden Koordinatensystem permanent zu installieren. Das System – so seine Lebensgefährtin Marianne Stockebrand – sollte ihm helfen, »eine Balance zwischen Ordnung und Unordnung, Systematik und Freiheit zu finden.« Man müsse mit Werken, auch mit den eigenen, leben, um sie verstehen zu können, so Judd. Im Block richtete er auch seine Bibliothek ein, die neben einer Klassik-, einer Kunst- und Architektur- auch eine Ländersektion umfasst. Unter ›Germany‹ finden sich Bücher von Büchner, Heine und Kleist im deutschen Original, unter ›Russia‹ vor allem Werke von Tolstoi und Bakunin. 

Sein Art Studio in der West Oak Street, einst Lebensmittelladen und Metzgerei, wirkt, als habe Judd es nur kurz verlassen. Die Judd Foundation bewahrt die Räume, wie sie zur Zeit des Künstlers waren. Vollendete Werke hängen an der Wand, Halbfertiges steht im Raum, die Utensilien und Skizzen auf den Tischen vermitteln einen Eindruck vom Arbeitsprozess. Nur wenige Schritte entfernt sind in einem Wohnhaus einige der Gemälde Judds aus seiner Frühzeit als Künstler zu sehen. Es waren jedoch nicht nur seine eigenen malerischen Werke, die in ihm die Überzeugung reifen ließ, die Malerei sei am Ende. 

Auch das Gebäude der Marfa National Bank von 1931 konnte Judd seit 1989 sein eigen nennen. Die Eingangshalle beließ er weitgehend, wie er sie vorgefunden hatte, inklusive eines bukolischen Gemäldes von einer Viehherde. Er stellte lediglich zwei antike Sitzbänke hinein. Die übrigen Räume nutzte er als Atelier, in dem seine Möbel- und Architekturentwürfe entstanden. Von Judd entworfene Möbel stehen hier neben Stühlen von Kollegen, wie etwa Alvar Aalto oder Gerrit Rietveld, die Wände zieren Gemälde des einst von Gropius ans Bauhaus berufenen Josef Albers. 

Die Umsetzung aller Intentionen, die Judd hinsichtlich der Präsentation von Kunst verfolgte, befindet sich auf 350 Morgen im Süden Marfas auf dem Gelände der einstigen Armeebasis – die Chinati Foundation. Diese hat die Nachfolge der Dia Foundation angetreten, die Judd einst bei der Verwirklichung seiner Pläne zur Seite stand. In zwei ehemaligen Artillerie-Hallen, durch minimale Korrekturen verändert, hat Judd 100 gleichgroße Boxen aus gewalztem Aluminium installiert. Diese Boxen weisen wegen der unterschiedlichen Unterteilung innerhalb der rechteckigen Grundbox eine jeweils eigene Konfiguration auf. Die Aluminiumoberflächen schimmern in allen erdenklichen Abstufungen in feinsten grausilbernen Tönen. Die Boxen harmonieren mit der Architektur und treten zudem in Dialog mit Judds draußen im gelben Präriegras platzierten 15 Betonarbeiten und der weiten, kargen Landschaft. Gras, Landschaft, der Himmel, die auf- und untergehende Sonne spiegeln sich in den Aluminiumplatten, und die Installation unterliegt einem ständigen Farbwandel. Der Kunstkritiker William C. Agee sprach vom »Illusionismus« dieser Werke. Die mit Judd befreundete Schriftstellerin Hannah Green nannte die Installation »beinahe erhaben«, woraufhin Judd fragte, »warum beinahe?«