Die Ausstellung Judd im New Yorker Museum of Modern Art (1. März bis 11. Juli 2020) ist die erste größere Retrospektive der Werke von Donald Judd (1928–1994) in den USA seit über dreißig Jahren. Judd wird immer wieder als Minimalist bezeichnet, eine Kategorisierung, die er für sich ablehnte. Für ihn war sein Werk der »einfache Ausdruck komplexen Denkens« und wegen der mannigfaltigen Beziehungen zwischen Material, Farbe und Raum alles andere als minimalistisch. Er suchte für seine konstruierten Werke sowie für den durch diesen kreierten Raum Autonomie und Klarheit, eine rigoros demokratische Präsentation ohne kompositorische Hierarchie. „»Der einfache Ausdruck komplexen Denkens« – Donald Judd im texanischen Marfa“ weiterlesen
Der Fun der Ichlinge in Ischgl
Das Bergdorf Ischgl ist ein 1.500-Seelen-Ort im österreichischen Paznauntal. Erst Anfang der 1960-er Jahre – als Retrogarde der meisten ihrer Tiroler und Vorarlberger Nachbarn – beschlossen die Ischgler Bergbauern, sich nach lukrativen Einnahmequellen umzusehen. Sie legten 1963 ihre dürftigen Ersparnisse und viel geliehenes Geld zusammen und bauten die ersten Lifte auf der Livretta, nicht ahnend, dass damit eine spektakuläre Erfolgsgeschichte beginnen und ihre Kuhblöke ein paar Jahrzehnte später zu den wichtigsten Wintersportorten Österreichs mit elftausend Gästebetten und mehr als einer Million Übernachtungen im Jahr zählen würde. „Der Fun der Ichlinge in Ischgl“ weiterlesen
Die »Göttin der Beat-Generation« ruth weiss ist tot
ruth weiss kam 1928 in Berlin in einer jüdischen Familie zur Welt. Sie brachte sich 1933 mit ihren Eltern von dort vor den Nazis in Sicherheit und kam nach Wien, von wo sie 1938 neuerlich flüchten musste. Auf abenteuerliche Weise gelangte sie mit ihren Eltern über die Niederlande nach New York. In ihrem Buch Full Circle (edition exil) widmet sie sich ihrer Flucht aus Nazideutschland: »1938. 31. Dezember. der zug fährt in holland ein. unser tunnel durch die nacht. unser tunnel ins licht. der letzte hinaus gelassene zug.«
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»Zwischen dem Hier & dem Nicht-Hier bewege ich mich« – Zum Tod des »cut prose«-Schreibers Jürgen Ploog
von Jürgen Schneider
Jürgen Ploog wurde 1935 in München geboren. Nach einer Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker war er drei Jahrzehnte als Langstreckenpilot unterwegs und versuchte mit dem Schnittverfahren »Cut-up« den Viruscharakter des Wortes bloß zu stellen: »Das Wort sehen & betrachten, es zum Material machen wie der Maler Form oder Farbe behandelt, bis sie möglichst deckungsgleich seiner Vorstellung entsprechen.«
Fragmentarische Anmerkungen zur Compilation Befreiung
Vor einiger Zeit fragte mich Dirk Teschner, ob ich am 8. Mai 2020 bei der Telegraph-Feier anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges der Roten Armee über die faschistischen Truppen Platten auflegen könnte. Mein Terminkalender sagte mir nein, da ich an jenem Tag in London sein sollte. Ich versprach Dirk jedoch, ihm eine CD zusammenzustellen. Nach Zusendung dieser CD bat er mich um ein paar erläuternde Anmerkungen. Diese gelten weniger der Musik als den von mir assoziierten politischen Ereignissen.
Jürgen Schneider – Düsseldorf, Anfang April 2020
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Feuerstuhl
HERAUSGEBER mit Egon Günther (Verlag Peter Engstler, Mai 2020)
Vor 90 Jahren besuchte James Joyce Wiesbaden
von Jürgen Schneider
AKT I
Im Wiesbadener Verlag Thorsten Reiß erschien 2005 mein BüchleinJames Joyce in Wiesbaden. Der Inhalt in aller Kürze: Der irische Schriftsteller James Joyce (1882-1941), seine Lebensgefährtin Nora Barnacle (1894-1951) sowie ihre gemeinsame Tochter Lucia (1907-1982) hielten sich vom 14. bis 21. April 1930 in Wiesbaden auf und wohnten im Hotel Rose. Die Goldenen Bücher des Hotels Rose durften nicht eingesehen werden. Der Verwalter dieser Gästebücher für Prominente teilte mit, Joyce habe es sich bekanntlich nicht leisten können, in diesem Hotel – heute Sitz des hessischen Ministerpräsidenten Bouffier – Zimmer zu bewohnen.
Arbeitsstipendium
Arbeitsstipendium
der Kulturstiftung NRW, 2020
Wiener Notizen #8
»Wahrscheinlich kann man nur lernen, dass man generell denken soll«.
– Frank Witzel, Uneigentliche Verzweiflung
Als ich in den 1980-er Jahren als Buchhändler tätig war, zählte zu den gut verkauften Büchern das Werk »Weibliche« und »männliche« Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse von Marianne Wex. Wex führte ihrer Leserschaft darin u. a. das Manspreading vor Augen, also das breitbeinige Sitzen von Männern. Der Breitbeinige meint wohl, er müsse sein Gemächt zur Schau stellen und er könne sich bei dieser Einedrahra-Sitzhaltung bequemer die Eier kraulen. Mit ihrer online gestarteten Öffi-Kampagne »Sei ein Ehrenmann und halt deine Beine zam!« wollen die Wiener Linien nun dazu beitragen, dass die Männer in Tram, Bus und U-Bahn nicht mehr breitbeinig herumsitzen. Auf Facebook, Twitter & Co. sorgte die Kampagne für Aufsehen und das Satireportal Tagespresse titelte: »Erstmals ohne Manspreading U-Bahn gefahren. Mann fallen Hoden ab.«
Wiener Notizen #7
Herbert Kickl1, Klubchef der völkischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) erklärte im Sonntagsinterview von oe24, sollte es zu keiner Koalition der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) unter Sebastian Kurz, diesem »gemütlich-alpinen Missing Link zwischen den Entdemokratisierungsmodellen Brüssel, Visegrád und Salvini« (Augustin), und den Grünen kommen, sei die FPÖ zu einer Regierungsbeteiligung unter der nicht verhandelbaren Voraussetzung bereit, dass sie den Innenminister stellt. Und der soll natürlich Kickl heißen. Laut diesem rechtsradikalen Selbstinszenierer sei die Trennlinie zu Heinz-Christian Strache »vollständig gezogen«. Der Ex-Vizekanzler Strache war wegen des Ibiza-Videos und einer Spesenaffäre gestürzt und von seiner Partei suspendiert worden, seinen Rausschmiss lassen seine Kameraden derzeit juristisch prüfen.